Freigabe von Einbahnstraßen, nicht einmal jede Zehnte im Kreis Drucken
Geschrieben von: TF   
Donnerstag, den 27. Juli 2023 um 11:44 Uhr

Beiträge im Blog geben nicht zwingend die Meinung der Ortsgruppe oder des ADFC im Gesamten wieder. In diesem Beitrag kommentiert unser Verkehrsrechtlicher Sprecher Torben Frank die Ergebnisse einer Erhebung der European Cyclists Federation zu freigegebenen Einbahnstraßen und das Ergebnis für den Kreis Rendsburg-Eckernförde.

Seit über 20 Jahren können Einbahnstraßen in Gegenrichtung für den Radverkehr freigegeben werden. Das bietet Radfahrenden Komfort durch kürzere Wege. Vereinzelt ist es auch schon im Raum Rendsburg umgesetzt worden. Doch die Quote für das Kreisgebiet weist auf, dass nicht einmal jede zehnte Einbahnstraße freigegeben ist.
Einbahnstraßen stellen verkehrsverwaltungsrechtlich Verkehrsbeschränkungen dar. Verkehrsbeschränkungen sind nur eingeschränkt und allein dort zulässig, wo mildere Mittel nicht anwendbar sind. Da die Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr keinerlei negativen Effekte hat, sondern vorrangig sogar die Verkehrssicherheit erhöht, wurden die Vorgaben seit den 1990ern immer wieder liberalisiert. In einer 30-Zone muss im Prinzip jede Einbahnstraße für den Radverkehr freigegeben sein, es sei denn, es gäbe sehr gute Gründe, die dagegen sprächen.

Grundsätzliches

Rechtsstaatliche Zuordnung des Verwaltungshandelns setzt voraus, dass die Verwaltung nach Recht und Gesetz arbeitet. So sind nach der VwV-StVO zu § 45 regelmäßige allumfassende Verkehrsschauen vorgeschrieben. Einen schönen Überblick zum Thema Verkehrsschau gibt ein Artikel des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR).  Alle 2 Jahre sollen die Straßenverkehrsbehörden unter anderem die Verkehrsrechtlichen Anordnungen, z.B. die Verkehrszeichen auf Zweckmäßigkeit prüfen und dabei auch geänderte Rechtsllagen berücksichtigen. Das Recht orientiert sich dabei häufig an Erkenntnissen der Forschung. Es geht also nicht um ideologischen Zeittrend, sondern schlicht und einfach sehr häufig um Verkehrssicherheit. Die Straßenverkehrs-Ordnung wendet sich nicht nur an Verkehrsteilnehmende, sonden auch an die Verwaltung. Der Verordnungsgeber sind das Bundesverkehrsministerium und der Bundesrat. Sie sind durch das Straßenverkehrsgesetz (StVG) ermächtigt, eine solche Verordnung zu erlassen, in § 6 StVG. Begleitend zur StVO gibt es die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften, welche den Ermessensspielraum definieren und die Normen zum Teil präzisieren. Manchmal wird der Verordnungsgeber darin sehr deutlich, verweist auf Unfallrisiken oder wie in der VwV-StVO zu § 1 auf Rechtshierarchien. § 1 StVO? Das ist doch das Ding mit der "gegenseitigen Rücksichtsnahme"?! Was hat das mit der Verwaltung zu tun? Nun, wie beschrieben, wendet sich die StVO auch an die Verwaltung, welche den Verkehrsraum gestaltet. Und die VwV-StVO zu § 1 definiert auch eine klare Zielvorgabe:

Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) regelt und lenkt den öffentlichen Verkehr. Oberstes Ziel ist dabei die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.

ieser Passus wendet sich an die Polizei und Kommunalen Ordnungsdienst, welche das Recht gegenüber Verkehrsteilnehmenden durchsetzen sollen, an die Straßenverkehrsbehörden, welche auf Grundlage von unter anderem § 39 StVO Verkehrsrechtliche Anordnungen treffen, an die Bussgeldstelle, an die verkehrsraumgestaltende Bauverwaltung, aber auch die Kommunalvertretungen. Habe ich irgendwen vergessen? Dieser Passus der VwV-StVO darf übrigens in Bezug auf den § 6 StVG und das Stichwort Verkehrssicherheit gelesen werden, werlches vor der priorisierung des Verkehrsflusses kommt. Das wiederum darf auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gleichbehandlungsgrundsatz bezogen werden. (Art. 2 und 3 GG). Mobilitätsrechlsaktivistys abstrahieren aus Artikel 3 des Grundgesetzes das Mobilitätsrecht; aus der Freizügigkeit wird das Recht auf Bewegung zwischen Orten, aus dem Recht auf freie Entfaltung das Recht der Wahl des Mobilitätsmittels hergeleitet. Die einzige Einschränkung ist dann die Sicherheit des Verkehrsmittels, dafür gibt es dann die Staßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Das ist dann der Grundechtseingriff, der dafür sorgen soll, dass in Verbindung mit dem Gefährdungsgebot aus § 1 StVO und anderen Regeln andere Verkehrsteilnehmende nicht geschädigt, verletzt oder getötet werden. Für die Verwaltungen gibt es das Grundgesetz als Schranke, dazu die übrigen Rechtsnormmen. Und es gibt im weiteren noch Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Regelwerken. Das setzt den Rahmen dessen, wie Verwaltung Verkehrsraum gestalten kann. Und die vorgeschriebenen Verkehrsschauen belegen, dass es keinen Bestandsschutz für die im Jahre des Herrn 1979 unter der Herrschaft Einhards des Einfältigen im Kreis- oder Rathaus getoffenene Verkehrsrechtliche Anordnung Einbahnstraße gibt. Die Sinnhaftigkeit muss alle 2 Jahre geprüft werden.

Nun kommt manch ein kommunaler Verwaltungsmitarbeiter oder Dorfbürgermeister auf die Idee, in Berlin säßen nur Theoretiker, hätten keiine Ahnung von den Verhältnissen vor Ort. Das geht dann so weit, dass eigene Verkehrszeichen kreiert werden, oder Verkehrsregeln werden lokal umdefiniert. Wenn Polizuzeibeamty erklärt, in der Büdelsdorfer Neuen Dorfstraße wäre es sicherer, wenn Radfahrende auf dem Gehweg führen, stellt er sich gegen das Bundesrecht. Das Bundesrecht verbietet Radfahrenden die Gehwegbenutzung. Die Fahrzeugführenden müssen nach § 2 StVO auf der Fahrbahn der Neuen Dorfstraße fahren. Genauso verhält es sich, wenn die Straßenvverkehrsbehörde der Stadt Rendsburg plötzlich ohne Kenntnis der Materie meint, es wäre gut, in der Eckernförder Straße eine linksseitige Radwegebenutzungspflicht auf einem ca. 1,2 m schmalen Hochbord anzuordnen, obwohl der Verordnungsgeber mit Hinweis auf das erhöhte Unfallrisiko genau das verbietet. Es wird sogar an Radwegebenutzungspflichten festgehalten, weil das Landesrecht den Kfz-Verkehrsfluss priorisiert. Und dann ist in der Argumentation der ruhende Kfz-Verkehr auch wichtiger als Verkehrssicherheit oder Leichtigkeit des Radverkehrsflusses. In seiner Verzweiflung verdeutlicht der Verordnungsgeber in der VwV-StVO zu § 1 die staatsrechtliche Position zur konkurrierenden Gesetzgebung:

Landesrecht über den Straßenverkehr ist unzulässig (vgl. Artikel 72 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 74 Nr. 22 des Grundgesetzes). Für örtliche Verkehrsregeln bleibt nur im Rahmen der StVO Raum.

Die grundsätzliche Ursache der Kommunikationsprobleme, welches ich verorten konnte, ist, dass kommunale Verwaltungen Radverkehr nicht als fliessenden Verkehr begreifen. Auch erkennen sie das Fahrrad nicht als Fahrzeug an, obwohl sie genau das dem § 1 III StVG oder auch dem § 63a StVZO entnehmen könnten. Das geht so weit, dass die Polizei Rendsburg Radfahrenden unterstellt, Verkehrsbehinderung zu sein. Im Land Schleswig-Holstein gibt es also offensichtliche Defizite in verkehrsrechtlicher Ausbildung der Verwaltung.

Zuständigkeit

Wer ist zuständig? In unserem Betrachtungsraum ist der Landrat Kreises Rendsburg-Eckernförde als Straßenverkehrsbehörde zuständig, in den Städten Rendsburg und Eckernförde gibt es eigene Straßenverkehrsbehörden. Die Fachaufsicht ist beim Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr (LBV SH) verortet. Das ist im Landesrecht mit Bezug auf § 39 StVO so geregelt.

Einbahnstraßen

Altstadtgassen können schal sein. Begegnungsverkehr von Kfz ist nich möglich. Als wurden Einbahnstraßenregelungen angeordnet. Seit den 1960ern oder 70ern dürfen Kraftfahrzeuge im Verkehrsraum außerhalb ausgewiesener Parkplätze geparkt werden. In Wohnstraßen wurde plötzlich eine Seite zugeparkt. Deshalb wurden in den 1970er und 80er Jahren einige Einbahnstraßen angeordnet. Manchmal gibt es auch heute noch sinnreiche Anordnungen, welche im Einzelfall begründet werden können. Viele der Anordnungen insbesondere in Wohnstraßen sind eigentlich heute generell nicht mehr haltbar. Manchmal wurde einfach eine Hauptverkehrsachse zur Einbahnstraße, um mehr Spuren in eine Richtung zu schaffen. Das war in der autogerechten Zeit zwischen 1934 und 1997 häufig der Fall, so auch auf den "Tangenten" in Rendsburg. Die Schaffung der Gegenspur in der Denkerstraße ist ein positives Beispiel für die Aufhebung des Einbahnstraßenirrsinns der Vergangenheit.So etwas verkürzt Wege. Radverkehrsförderung braucht kurze Wege. Einbahnstraßen ohne Freigabe verhindern kurze Wege, erzwingen Umwege. Sie machen das Radfahren in der Kommune unattraktiv.

Argumente für die Freigabe oder Aufhebung

- Rechtslage;
- Radverkehrsförderung durch Wegeverkürzung;
- Klimaschutz durch Radverkehrsförderung;
- Entlastung kommunaler Kassen durch Radverkehrsförderung;
- Verkehrsberuhigung im betreffenden Straßenzug als Nebeneffekt.

Lösungen

In einer 30-Zone ist es klar. Wenn die Einbahnstraßenregelung für Kraftfahrzeuge aufrecht erhalten werden muss, kommen einfach Zusatzzeichen dazu. Unter "Einfahrt verboten" kommt "Radverkehr frei", unter die Pfeile "Einbahnstraße" kommen die Zusatzzeichen, welche auf den radfahrenden Gegenverkehr hinweisen.
Komplizierter wird es bei anderen Einbahnstraßen. Dort muss geprüft werden, was alternativ möglich sein kann. Wenn das "Einfahrt verboten" Durchgangsverkehr verhindern soll, also einen modalen Filter darstellt, kann überprüft werden, ob statt der unechten Einbanstraße nicht andere Verkehrszeichen sinniger sind. Ansonsten kommt "Radverkehr frei" darunter. In Gegenrichtung kann eine Radspur asymmetrisch eingerichtet werden, auch Schutzstreifen sind möglich. Auf Kosten des Fussverkehrs mit Zeichen 240 StVO "gemeinsamer Fuss- und Radweg" anzuordnen, ist in Hinblick auf die Belange des Fussverkehrs und die Verkehrssicherheit nur im Ausnahmefall möglich, sofern überhaupt eine geeignete Fussverkehrsanlage bestünde.
Manchmal ist Neudenken nötig. Asymmetrische Radfahr- oder Schutzstreifen wurden schon angesprochen. Ein Fall, wo das sinnig ist, ist etwa der Jungfernstieg zwischen Materialhofstraße und Post in Rendsburg. Erforderlich ist dort in jedem Falle eine vernünftige Lösung.
Eine andere Art des Neudenkens ist die Fahrradstraße als unechte Einbahnstraße. Nur auf einer Seite wird durch Zusatzzeichen "Anlieger frei" Anlieger-Kfz-Verkehr hineingelassen. Das verhindert Durchgangsverkehr. Unechte Einbahnstraßen können auf beiden Seiten verlassen werden. Deswegen ist zumindest abschnittsweise ein gewisser Fahrbahnquerschnitt notwendig. Es gibt aber gestalterische Tricks, welche kostengünstig umzusetzen sind.

Fazit

Einbahnstraßen sind Verkehrsbeschränkungen. Im Regelfall müssen sie für Radfahrende in Gegenrichtung geöffnet werden. Das ist sicher und komfortabel. Es gibt mehrere Wege, das zu tun.
Der Deutschlandkarte der Veröffentlichung können die erhobenen Werte entnommen werden. Im Kreisgebiet Rendsburg-Eckernförde sind 2,4 km Einbahnstraße für den Radverkehr in in Gegenrichtung freigegeben, nicht freigegeben sind 22,7 km. Das entspricht nach der ECF 9,7 % Freigabe. Ein Blick in die Nachbarkreise Dithmarschen und Steinburg zeigt, dass die Freigabe dort häufiger erfolgt. Der Bundesschnitt liegt bei 19,1 %. Der Landkreis Gießen in Hessen liegt mit 67,8 % Freigaben vorne. Die Gesamtbetrachtung zeigt, dass es nicht an den besonderen Verhältnissen vor Ort liegt, sondern an der Verweigerung des Landrats, Bundesrecht zugunsten der Verkehrssicherheit und des Komforts Radfahrender umzusetzen.

Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 27. Juli 2023 um 12:48 Uhr